Raum­po­ten­zia­le ent­de­cken

Mo­de­ra­ti­on

John Stjer­ne­by

Ziel­set­zung

Far­be und Ge­stal­tung im Schul­bau

Un­ser wah­res An­alpha­be­ten­tum ist nicht das Un­ver­mö­gen, le­sen und schrei­ben zu kön­nen, son­dern das Un­ver­mö­gen, schöp­fe­risch tä­tig zu sein. Ge­ra­de in der Ar­chi­tek­tur für jun­ge Men­schen, d.h. bei Schu­len, Kin­der­häu­sern usw., ist bis­her un­glaub­lich ge­sün­digt wor­den. Ganz ein­fach durch die ag­gres­si­ve, ni­vel­lie­ren­de Ar­chi­tek­tur, in der un­se­re Ju­gend die wich­tigs­ten Jah­re ih­res Le­bens ver­brin­gen muss. Die see­li­sche Ar­chi­tek­tur, die von sol­chen Schu­len aus­geht, über­steigt in der Kon­se­quenz fast die sei­ner­zei­ti­ge kör­per­li­che Maß­re­ge­lung. Die blei­ben­den psy­chi­schen Schä­den für die jun­ge Ge­nera­ti­on sind un­ge­heu­er. Kin­der kön­nen sich noch we­ni­ger ge­gen eine vor­ge­plan­te see­len- und le­bens­tö­ten­de Um­welt weh­ren als Er­wach­se­ne. Frie­dens­reich Hun­dert­was­ser, 1990

Was Herr Hun­dert­was­ser in dem Zi­tat aus­spricht, ist in den letz­ten Jah­ren in em­pi­ri­schen Stu­di­en, nicht nur in Deutsch­land, un­ter­sucht wor­den. 1) Ar­chi­tek­tur spricht eine Spra­che, der Mensch ant­wor­tet dar­auf und wenn er nicht mehr ant­wor­tet dann wird er ent­we­der sprach­los oder er re­agiert ag­gres­siv. Das Schul­ge­bäu­de, als Ort des Ler­nens, ist in der Ver­gan­gen­heit in den ver­schie­dens­ten Bau­for­men rea­li­siert wor­den. Wir ste­hen zum Teil mit ei­ner ge­wal­ti­gen Alt­last an Bau­sub­stanz, die den heu­ti­gen Be­dürf­nis­sen nur sehr be­grenzt ent­spricht und ste­hen, wenn es zu Neu­bau­ten kommt, vor der Fra­ge: wie soll eine zeit­ge­mä­ße Schul­ar­chi­tek­tur aus­se­hen? Vor al­len Din­gen aber, wer hat die Kom­pe­tenz zu sa­gen, wie sie aus­se­hen soll? Kann ein Ar­chi­tekt, der Su­per­märk­te und Bank­ge­bäu­de plant, auch eine Schu­le bau­en? Kön­nen Bau­amts­pla­ner und Fach­pla­ner ent­schei­den, wie Schu­le aus­se­hen soll? Na­tür­lich kön­nen sie, denn sie ha­ben ihre Kom­pe­ten­zen, aber Kom­pe­ten­zen auf ih­rem Fach­ge­biet. Wo blei­ben die Päd­ago­gen, die El­tern, die Kin­der, mit ih­ren Er­fah­run­gen und Be­dürf­nis­sen? Schul­ent­wick­lung kann nicht al­lei­ne eine Sa­che von neu­en Lern­for­men sein, sie muss auch neue, zeit­ge­mä­ße Lern­räu­me schaf­fen. Die Gans­tag­schu­le sagt ja schon von sich, dass den gan­zen Tag Schu­le ist. Das heißt 70 bis 80 Pro­zent des Ta­ges be­wegt sich der Mensch (Leh­rer und Schü­ler) in ge­bau­ten Räu­men. Wel­che Be­deu­tung ha­ben da die Bau­for­men, die Funk­tio­na­li­tät, die Far­ben, das Licht, die Ma­te­ria­li­en? In Schwe­den sagt man: der Raum ist der drit­te Er­zie­her. Wie kom­men wir nun dazu, die­sen An­for­de­run­gen ge­recht zu wer­den? Man könn­te sich An­re­gung z.B. aus der frei­en Wirt­schaft ho­len. Dort wer­den Teams ge­bil­det, die nach ih­ren spe­zi­fi­schen Fach­rich­tun­gen aus­ge­rich­tet, ihr Wis­sen und Kön­nen in den Dienst der Sa­che stel­len. Das be­deu­tet, dass auch ganz an­de­re As­pek­te als bau­ty­pi­sche in die Schul­bau­ge­stal­tung ein­flie­ßen. Es muss er­lebt wer­den von al­len Be­tei­lig­ten, dass die Ar­chi­tek­tur den Men­schen die­nen soll­te, dass die Ges­tik der ge­bau­ten Um­welt uns er­zieht. Wir er­le­ben un­se­re Um­welt mit den Sin­nen. Sin­nes-wahr-neh­mung schafft Be­wusst­sein. Wenn eine Fas­sa­de, glatt, aus Stahl und Glas, viel­leicht sehr funk­tio­nell und mo­dern ge­baut, sich un­an­nah­bar, selbst­herr­lich, „weil die gan­ze Welt sich in ihr spie­gelt“ dar­stellt, ist das für den Men­schen, der so ei­nem Ge­bäu­de ge­gen­über­steht, eher eine ab­wei­sen­de Ges­te. Na­tür­lich be­we­gen wir uns täg­lich auf sol­che Ge­bäu­de zu, „wir füh­len uns viel­leicht nicht wohl“, aber fra­gen nicht war­um. Ähn­lich ist es im In­ne­ren der Ge­bäu­de, da wer­den die an­de­ren Sin­nes­wahr­neh­mun­gen wie der Ge­ruch, die Akus­tik, die Raum­pro­por­ti­on usw. noch deut­li­cher an­ge­spro­chen. Eine har­mo­ni­sche Ge­stal­tung ruft nicht nach Sen­sa­ti­on, der Mensch steht im Mit­tel­punkt. Eine har­mo­ni­sche Ge­stal­tung ruht in sich, ist ab­wechs­lungs­reich, warm in der Aus­strah­lung, gibt Schutz, aber engt nicht ein. Das sind Ge­stal­tungs­kri­te­ri­en, die Pro­fes­sor Rit­tel­mey­er aus Schü­ler­be­fra­gun­gen her­aus­ge­fil­tert hat. 2) Der An­spruch un­se­rer Ar­beit liegt in ei­ner fein dif­fe­ren­zier­ten Ge­stal­tung, ähn­lich wie bei ei­nem Mu­sik­stück, ei­ner Sym­pho­nie. Dort gibt es ein The­ma, das hat eine „ Far­be“, eine Stim­mung. In vie­len Va­ria­tio­nen klinkt es auf: hell, ernst, hei­ter. Nie ver­gisst es sei­ne Be­stim­mung. Doch lässt sich kei­ne Kom­po­si­ti­on schaf­fen, ohne die Grund­la­ge der Mu­sik­theo­rie und dem mu­si­ka­li­schen Emp­fin­den. Auch in der Raum­ge­stal­tung ist ein Grund­wis­sen nö­tig, z.B. von der Wir­kung der Far­ben und For­men, der Ma­te­ria­li­en, der Licht­tech­nik, der Akus­tik, ge­paart mit ei­nem künst­le­ri­schen Ge­spür. Da die Ge­stal­tung aber nicht um ih­rer selbst Wil­len ge­macht wer­den soll­te, ist der enge Aus­tausch mit dem Nut­zer nö­tig. Für uns ist die­ser Kon­takt sehr be­deut­sam, „die Che­mie“ muss stim­men. Ein Grund­ver­trau­en muss zwi­schen uns le­ben, denn Pla­nen ist ein krea­ti­ver Pro­zess mit Be­we­gung, Be­sin­nung und Ver­wand­lung. Leit­kri­te­ri­en für un­se­ren Ge­stal­tungs­pro­zess sind: die Funk­tio­na­li­tät, die Schön­heit, die Qua­li­tät und die Kos­ten. Die schöns­te Pla­nung aber bleibt ein Traum, wenn sie nicht um­ge­setzt wer­den kann. In dem Vor­trag wur­den an­hand von Bild­bei­spie­len er­läu­tert, wie über­wie­gend im Alt­bau Schul­sa­nie­rung durch­un­se­re Mit­hil­fe rea­li­siert wur­de.

Sig­rid Stjer­ne­by Künst­le­rin

John Stjer­ne­by Dipl. Ing.

1)

  • H. Kü­kel­haus: Un­mensch­li­che Ar­chi­tek­tur. Von der Tier­fa­brik zur Lern­an­stalt. Köln,1983.
  • In­sti­tut für Schul­bau der Uni­ver­si­tät Stutt­gart (Hrsg.): Un­ter­su­chun­gen zur Qua­li­tät ge­bau­ter Schul­um­welt. Vil­lin­gen 1977
  • B. Goll­now/V. Pe­ter­sen: Neue Schul­bau­ten. Ar­chi­tek­to­ni­sche Qua­li­tä­ten und Nut­zung an zehn Schu­len. Eine em­pi­ri­sche Un­ter­su­chung. Schul­bau­in­sti­tut der Län­der, Ber­lin 1976;
  • H. Klun­ker: Schul­bau­dis­kus­si­on und Schul­bau­for­schung in Deutsch­land. In: Bil­dung und Er­zie­hung 47(1994), S. 5-17.
  • M. Göh­lich: Die päd­ago­gi­sche Um­ge­bung. Eine Ge­schich­te des Schul­raums seit dem Mit­tel­al­ter. Wein­heim 1994;
  • M. Noack: Der Schul­raum als Päd­ago­gi­kum. Wein­heim 1996.
  • G. I. Earth­man: The Qua­li­ty of School Buil­dings, Stu­dent Achie­ve­ment, and Stu­dent Be­ha­vi­or. In: Bil­dung und Er­zie­hung 52 (1999), S. 353 - 372.
  • C. K. Tan­ner/A. Lang-ford: The Im­pact of In­te­rior De­sign Ele­ments as they Re­la­te to Stu­dent Out­co­mes. School De­sign and Plan­ning La­bo­ra­to­ry, Uni­ver­si­ty of Geor­gia (U.S.A.), 2002.
  • Jo­sef Wat­schin­ger, Jo­sef Kü­he­ba­cher: Schul­ar­chi­tek­tur und neue Lern­kul­tur, Bern 2007
  • Wil­fried Bud­den­siek: Lern­räu­me ana­ly­sie­ren und ge­stal­ten. Deut­scher Spar­kas­sen­ver­lag, Stutt­gart 2007
  • Wüs­ten­roth Stif­tung: Schu­len in Deutsch­land, Neu­bau und Re­vi­ta­li­sie­rung, Karl Krä­mer Ver­lag Stutt­gart + Zü­rich
  • Mar­tin Brauns: Ein Plan für Schu­len der Zu­kunft. Books on De­mand GmbH, Nor­der­stedt

2)

  • Chr. Rit­tel­mey­er: Schul­bau­ten po­si­tiv ge­stal­ten. Wie Schü­ler Far­ben und For­men er­le­ben. Wies­ba­den 1994.